Tödliche Übergriffe auf Missionare sind oft vermeidbar
von Mission SOS verfasst
Schnallen Sie sich mit dem Sicherheitsgurt an, sobald Sie ins Auto steigen? Suchen Sie bei einer Erkrankung einen Arzt auf? Blicken Sie sich nach links und rechts um, bevor Sie eine Straße überqueren? Vermutlich ja, denn Sie setzen ja Ihren Verstand ein, um Schlimmeres zu vermeiden.
Stehen aber eigene Sicherheitsvorkehrungen und Schutzmaßnahmen nicht im Gegensatz zum Gottvertrauen? Wir meinen nein und sehen Sicherheitsvorkehrungen als Aufgabe jedes Menschen.
Nach dem Jahresbericht „Pastoral Care Workers Killed“ des Vatikans kommen jährlich zwischen 10 und 40 katholische Kirchenmitarbeiter im Ausland durch Gewalttaten ums Leben. Doch nur ein kleiner Teil der Morde ist auf religiös motivierte Gewalt zurückzuführen. Wenn man sich die einzelnen Vorfälle etwas genauer anschaut fällt auf, dass häufig keine Präventionsmaßnahmen implementiert wurden und in der Situation der Konfrontation häufig falsch und unzweckmäßig reagiert wurde.
Daher sollten Missionsgesellschaften und Missionare – vergleichbar mit dem Sicherheitsgurt beim Autofahren – auch für ihre persönliche Sicherheit bei Auslandsaufenthalten gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen. Auch wenn an Gottes Schutz alles gelegen ist, kann jeder, neben Gebeten, bestimmte Maßnahmen zur Risikominimierung anwenden.
Unser Eindruck ist, dass gerade seitens von Missionswerken die gesetzliche Fürsorgepflicht und die damit verbundenen Mindestanforderungen an Schutzvorkehrungen vernachlässigt werden. Es wird leider oft vergessen, dass man als Arbeitgeber, auch wenn ehrenamtliche Mitarbeiter eingesetzt werden, der gesetzlichen Fürsorgepflicht unterliegt.
Uns ist aber auch bewusst, dass es für Missionsgesellschaften schon aus finanziellen Gründen sehr schwer ist, den eigenen Mitarbeitern den bei Firmen üblichen Sicherheitslevel zu bieten. Doch Sicherheit muss nicht teuer sein. Eine gute Vorbereitung des Missionseinsatzes unter Berücksichtigung der Sicherheitslage, das Vorhandensein von Krisen- und Notfallplänen sowie die situative Aufmerksamkeit der Reisenden für Gefahrensituationen sind wichtige Maßnahmen, die jeder umsetzen kann.
Nachfolgend finden Sie mehre Fallstudien von Übergriffen auf Missionare. Als Basis wurden Medienberichte verwendet und die Fallanalyse beinhaltet auch Empfehlungen für solche Situationen. Uns ist dabei bewusst, dass es im Nachhinein immer leichter ist, Fehler zu finden und Empfehlungen zu geben – wir wollen aber diese tragischen Zwischenfälle zumindest für einen Lernprozess verwenden.
Case Study 1: Beschuss eines Missionarsehepaares in Mexiko
Sachverhalt:
Am 27. Januar 2011 fuhren die amerikanischen Missionare Nancy und Sam Davies mit ihrem Chevrolet Pickup (Baujahr 2008) auf dem Highway nahe der mexikanischen Stadt San Fernando, rund 115 Kilometer südlich der US-Grenze. Eine Gruppe von Bewaffneten mit Geländefahrzeugen versucht den Wagen des Ehepaars zu stoppen. Als Sam Davies nicht stoppt, eröffnen diese aus automatischen Waffen das Feuer. Seine Frau wird am Kopf getroffen. Sam Davies gibt trotz des Beschusses Gas und fährt die 115 Kilometer bis zur US Grenze. Dort wird die Ehefrau, die noch atmet, in ein Krankenhaus eingeliefert, verstirbt aber 20 Minuten später.
Bewertung & Empfehlung:
Das Ehepaar verbrachte die meiste Zeit als Missionare in Mexiko. Sie waren sich bewusst, dass ihr Aufenthalt mit nicht unerheblichen Risiken verbunden war. Als Bewaffnete (vermutlich vom Zetas Drogenkartell, welches die Region dominiert) versuchen, ihr Fahrzeug zu stoppen, glaubt Sam Davies, dass man sie entführen und foltern möchte. Vergleichbare Vorfälle mit westlichen Bürgern in Nordmexiko deuten aber darauf hin, dass es den Tätern aber wahrscheinlich um das Fahrzeug ging. Auch wenn immer wieder westliche Expats in Nordmexiko entführt werden, betrifft die Folter und Ermordung in der Regel Entführungsopfer, die in Drogendelikte verwickelt sind. Pickup Trucks neuerer Bauart (auch der vom Ehepaar gefahrene Typ) sind bei den Drogenkartellen sehr begehrt und sind häufig das Ziel von Carjackings. Die Täter wollen lediglich das Fahrzeug und lassen Westler in der Regel unversehrt, wenn diese den Tätern das Auto überlassen.
Vermutlich führte diese Fehleinschätzung der Situation zu der unzweckmäßigen Reaktion, Gas zu geben und somit zur Eskalation der Gewalt. Unter Stress ist es immer schwierig, zweckmäßige und richtige Entscheidungen zu treffen. Hier hilft es, mögliche Szenarien, die passieren können, im Vorfeld durchzugehen und sich eine Reaktion zu überlegen, bevor man tatsächlich in eine solche Situation kommt. Durch mentales Visualisieren werden Reaktionsweisen im Hirn abgelegt und in einer Extremsituation steigen die Chancen, darauf schnell zurückgreifen zu können. Ein weniger auffälliges Fahrzeug hätte den Zwischenfall wohl gänzlich vermieden.
Ob nach der Verwundung der Ehefrau die Fahrt zur 115 Km entfernten US-Grenze sinnvoll war, ist zumindest zu bezweifeln. Unklar ist, wie lange Sam Davies von den Tätern verfolgt wurde. Es ist unwahrscheinlich, dass diese ihm mit vollautomatischen Waffen bis zur US-Grenze folgten, ohne ihn stoppen zu können. Möglicherweise hätte das schnellere Anfahren eines Krankenhauses in Mexiko die verwundete Ehefrau retten können. Grundsätzlich ist auch empfehlenswert, den Erste Hilfe Kasten in der Fahrgastzelle in Reichweite aufzubewahren. Unklar ist, ob der Missionar während der 115 Km Fahrt überhaupt einen Notruf absetzte. Unter Stress werden häufig die einfachsten Dinge vergessen.
Klar ist, dass der Hauptfehler in der Konfrontation mit den Tätern und der wahrscheinlich falschen Lageeinschätzung bestand.
Falldarstellung als Video im Internet
Case Study 2: Ermordung eines jungen Missionars in Mosambik bei einem Raubüberfall
Sachverhalt:
Der katholische Missionar und Pastor Valentim Eduardo Camale wurde am 03. Mai 2012 brutal ermordet. Der Pastor bemerkte mehrere Räuber, die gegen 20.00 auf das Missionsgelände eingedrungen waren. Er hielt einen von ihnen fest. Die anderen drei Täter schlugen ihn nieder und er verblutete auf dem Weg ins Krankenhaus.
Bewertung & Empfehlung:
Niemand ist für Kriminelle „Untouchable“ – kein Priesteramt, kein Geschlecht und auch kein Diplomatenpass verschaffen hier „Immunität“. In Ländern mit einem starken Wohlstandsgefälle ist Gewalt bei kriminellen Taten verbreitet und die Hemmschwelle der Täter zur Gewaltanwendung ist sehr gering. Viele von ihnen wachsen in einer Gewaltkultur auf und auch Waffen sind verbreitet und leicht beschaffbar.
Es ist ein Spiel mit dem Feuer, in einem solchen Kontext zu versuchen, den Täter festzuhalten. Eine häufige Stressreaktion ist der Tunnelblick. Hierdurch sieht das Opfer möglicherweise nur einen Täter, da sein Sehfeld in Folge der Stressreaktion stark eingeschränkt ist. Konfrontation ist bei Überfällen keine empfehlenswerte Taktik, denn auch der Täter steht unter Stress.
Das Opfer verblutete auf dem Weg ins Krankenhaus. Fraglich ist, ob es auf dem Missionsgelände eine entsprechende notfallmedizinische Ausrüstung gab (kostet weniger als 100 Euro), mit der man massive Blutungen stoppen kann und ob das Missionspersonal auch in der Behandlung massiver Blutungen geschult war. In solchen Ländern greift die in Deutschland übliche Rettungskette nicht, nach der innerhalb von zehn Minuten ein gut ausgestatteter Krankenwagen mit Fachpersonal eintrifft.
Case Study 3: Entführung eines Pastors in Indien
Sachverhalt:
Der indische Pastor und Missionar Ponnachan George wurde an einem Abend im Juli 2012 von seinem Haus von mehreren bewaffneten Entführern verschleppt und erst nach einer Woche freigelassen. Die Entführer verlangten Lösegeld.
Bewertung & Empfehlung:
Auch wenn die Entführung von Westlern spektakulär ist, so sind Entführungen lokalen Personals weit aus verbreiteter. Indien ist, was die Entführung von Einheimischen betrifft, weltweit unter den Top-10. Ponnachan hat sich im Augenblick der Entführung von seinem Anwesen richtig verhalten. Er leistete angesichts mehrerer bewaffneter Täter keinen Widerstand, was unter den Umständen sinnlos gewesen wäre. Aus seinem Glauben und durch Gebete schöpfte er die Kraft, diese traumatische Situation durchzustehen. Er vermied es, die Täter während der Geiselhaft zu provozieren, auch wenn er einen Fluchtversuch unternahm. Oft sind die gesundheitlichen Rahmenbedingungen bei einer Geiselhaft in entlegenen Regionen (z.B. Dschungel) die größte Gefahr für Leib und Leben, gefolgt von einem gewaltsamen Befreiungsversuch durch Sicherheitskräfte.
Statistisch gesehen überleben weltweit rund 90% der Entführungsopfer das Kidnapping, auch wenn bei terroristischen Entführungen aufgrund der kaum zu erfüllenden Forderungen die Risiken höher sind. Bei professionellen, kriminellen Entführern, die das Ganze als Business sehen, sind die Überlebenschancen am höchsten.
Befragungen von Entführungsopfern zeigen, dass diejenigen, die sich im Vorfeld ihrer Entführung mit dem Thema befasst haben, sich schneller adaptieren und auch nach der Freilassung seltener unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Der Glaube an Gott spielt bei der Geiselhaft eine wichtige Rolle und gibt Kraft und Hoffnung.
Falldarstellung als Video im Internet
Case Study 4: Flucht aus Kenia
Sachverhalt:
Der US-Missionar Marvin Brazington hielt sich gemeinsam mit seinem 13jährigen Sohn Anfang Januar 2008 in Kenia auf, als es landesweit zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Ihnen gelangt die Flucht aus Kenia und von Uganda aus konnten sie mit einem Linienflug das Land verlassen.
Bewertung & Empfehlung:
Eines der Probleme bei der Evakuierung der beiden bestand darin, dass diese nicht mehr ausreichend Geld für die Buchung des ungeplanten Rückfluges hatten und erst nach Spendenaufrufen Geldmittel hierfür bereit standen. Die Entscheidung das Land aufgrund der brutalen Unruhen zu verlassen, war richtig, da diese landesweit erfolgten und nicht lokal begrenzt waren. Ansonsten wäre das Verbleiben in einer von Unruhen nicht betroffenen Region im Land eine Alternative gewesen. Die schwierigste Entscheidung ist immer, ob man das Land verlässt und wann. Eine zu frühe Evakuierung gefährdet das laufende Projekt, eine zu späte Evakuierung ist häufig sehr kostspielig und in manchen Fällen nicht mehr möglich. Gut war hier die Einbindung der US-Botschaft. Dennoch sollten Evakuierungspläne auch ohne Botschaftsunterstützung funktionieren, da in einigen Fällen die Botschaft ihr komplettes Personal abzieht und auch bei einer von Botschaften unterstützten Evakuierung man in der Regel mit eigenen Ressourcen erst in die Hauptstadt gelangen muss. Der Reisepass sollte in solchen Situationen zu jeder Zeit verfügbar sein. Die Organisation, die Missionare entsendet, sollte ein Triggersystem implementiert haben, nach denen dann eine Evakuierung ausgelöst wird. Teil der Evakuierungsplanung ist das Vorhalten entsprechender Geldmittel sowie Vorbereitungen der Mitarbeiter vor Ort (u.a. Fluchtgepäck, Notvorräte).
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